Kleidung - Einfache Poulaines

Einfache Schnabelschuhe mit mässig langer Spitze
Detail der SchaftrandverstärkungDetail der Sohle mit Biese
(Mitte 14.Jhd - 15.Jhd)

Kaum eine Mode des Mittelalters ist so sehr Gegenstand moderner Klischeevorstellungen wie die des Schnabelschuhs.
Eine generelle Zuspitzung der Sohlenform ist bereits in der späten Hoch-und frühen Spätgotik in Mitteleuropa zu beobachten, und im Verlaufe des 2. Viertels des 14ten Jahrhundert tritt erstmalig erkennbar in französischsprachigen Regionen (zu denen auch England bis Mitte des 14ten Jahrhunderts gehörte) der sogenannte Schnabelschuh, auch "Poulaine(s)", vermutlich von der Bezeichnung "souliers à la poulaine" (Schuhe nach polnischer Art) aus dem Mittelfranzösischen abgeleitet, da diese Mode in Polen erfunden worden sein soll.

In der Klischeevorstellung stellt so ein Schuh für den Träger ein absolut unpraktisches Bekleidungsstück dar- was für die besonders extremen Varianten auch richtig sein mag. Tatsächlich deuteten lange Spitzen mitunter auf die Nichtnotwendigkeit für den Träger hin, körperlicher Arbeit nachzugehen (-> Durchbrochene Schuhe mit Stempelmuster, Durchbrochene Schnabelschuhe) Dies jedoch hinderte die Mode weder daran, in die Wehrtechnik Einzug zu halten, in der sie in Form von abnehmbaren Spitzen oder Überschuhen bis zum Ende des 15ten Jahrhunderts zu beobachten war, und heutige Museumsbesucher heute noch zum Koppfschütteln einlädt, noch dass sich diese im zivilen Leben ebenfalls bis in den gleichen Zeitrahmen hielt, sowohl, wenn man Bildquellen glauben mag, sogar als Schuhbekleidung von modebewussten Soldaten, als auch in abgeschwächter Form als solche einfacherer Schichten, die jedoch zumindestens damit kaum einer schweren körperlichen Arbeit nachgingen.

Die Dimensionen der möglichen Spitze waren somit sehr unterschiedlich, und konnten die im heutigen Klischee lebendigen enormen Ausmaße annahmen, bis hin zur der Annekdote, dass die Spitzen so lang wurden, dass sich die Praxis einbürgerte, diese mittels einer Schnur am Bein festzubinden, um überhaupt noch damit laufen zu können. Ein konkreter Beleg dafür liegt uns jedoch derzeit nicht vor.

 

Vorlage

Die vorliegenden Schuhe wurden nach Modellen aus York, England gefertigt. Modelle gleicher Art tauchen in ähnlicher Form in diversen Fundkomplexen auf (z.B. London), und weisen, wie auch bei anderen Modellen, verschiedene Stückelungen auf, je nach verfügbarem Material und Materialersparnisstreben. Die Schnalle ist ebenfalls ein Abguß eines Fundes aus London.

Typisch bei Schnabelschuhen ist auch die nach dem Wenden vernähte Spitze.

Gefertigt von Klaus Öchsler.

(In unserem Besitz seit 01/2010 / Stand 09.11.2010)
 

Quellangaben

Lederfunde aus YorkLederfunde aus dem mittelalterlichen York
BNF Fr 12, Lancelot du LacBNF Fr 12, Lancelot du Lac, Frankreich, 1350-60
Roman de la RoseHandschrift des französischen Roman de la Rose (ab 13.Jhd, Hier: Folianten um 1350-60). Der Roman de la Rose ist ein Versroman mit zentralem Minnethema und eines der wichtigsten Werke der französischen Literatur des Mittelalters. Er ist in zahlreichen Manuscripten von 1250 bis 1500 erhalten, und wurde auch später noch gedruckt. Damit hatte er einen massiven Einfluss auf die französische Literatur. Die zahlreichen Miniaturen der einzelnen Manuskripte machen diese zu einer hevorragenden ikonographischen Quelle des französischen Mittelalters. Mehr unter Wikipedia
AlexanderromanDer Alexanderroman, vermutlich ca. 1338-44 in Flandern (aus der Hand des flämischen Illustrators Jehan de Grise und seiner Werkstatt) entstanden, enthält Verse in französischem (picardischen) Dialekt und (ab 1400) Englisch über "Romance of the Good King Alexande" (über Alexander den Grossen), sowie illustrierte Berichte über die Reisen Marco Polos. Es stellt eine hervorragende Quelle für französische Mode um die Mitte- genauer der ersten Hälfte der 40ger Jahre- des 14ten Jahrhunderts dar.
Schuhfunde aus LondonIm Hafenbecken von London wurden zahlreiche Funde aus dem hoch-und spätmittelalterlichen London geborgen.
 

Empfohlene Literatur


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. Shoes and Patterns (Medieval Finds from Excavations in London) .
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Shoes and Patterns (Medieval Finds from Excavations in London)
Francis Grew, Margrethe De Neergaard, Susan Mitford, The Boydell Press
Das in der Reihe über die Londonfunde erschienene Buch stellt mit eines der Standardwerke über mittelalterliche Schuhfunde dar. Detailliert wird Konstruktion, Entwicklung und Material der Funde aus dem mittelalterlichen London beleuchtet.
1843832380 (German).
 

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